Mistel
Wenn ich auf der Schaukel schwang, die mein Großvater im Garten
am Maulbeerbaum befestigt hatte
und zwischen den Ästen zur Sonne aufsah,
dann dachte ich, der Baum sei meine Mutter,
die vom Schlaf erwacht ist, die mich auf den Arm nimmt
und singend hin und her wiegt in der Nacht.
Es war der Baum, der mich schützte vor dem Sonnenglühen
und der mich mit den schwarzen Augen
lachend ansah wie die Mutter, maulbeersüß.
Heute schwingt mein Sohn auf dieser Schaukel
und denkt vielleicht, der Baum, dem er sein Leben anvertraut,
sei seine Mutter.
Er baut darauf, dass ich ihn schützen kann mit diesem starken Stamm,
der Rinde und den Ästen,
und wenn es nötig ist, mich gern verwandeln werde,
in Ofenholz, in einen Tragbalken, in eine Kinderwiege.
Er glaubt an diesen Baum und zweifelt nicht,
dass ich ein Baum bin.
Ich bin jedoch die Mistel,
die hoch im Wipfel einen Ast umklammert,
die wurzellos ist und blassgrün von Farbe,
die sich von anderen ernährt, von deren Saft und Licht
und nur ganz selten wagt sie einen Blick zur Erde
und jedesmal nimmt sie an Blässe zu,
wenn sich die Äste regen, weil die Schaukel schwingt,
dann fürchtet sie, erkannt zu werden
und herabzuschlagen, so man sie berührt.